Über das Heil-und-ganz-Sein


von Melanie Haumann

Es ist ein schöner Gedanke, sich selbst zu heilen. Sich heilen zu wollen. Doch gleichzeitig trägt dieser Gedanke auch Gefahr in sich. Einen Trugschluss.
Denn wenn er zur Überzeugung wird, dass ich mich zuerst heilen muss, suggeriere ich mir möglicherweise selbst, dass ich nicht gut genug bin. Nicht ganz. Nicht vollkommen. Sondern in irgendeiner Form beschädigt. Schadhaft. Gar mit Mangel behaftet. Womöglich sogar nur mangelhaft. Vielleicht besteht dieses Heilen darin, zu erkennen.
Wer ich wirklich bin. Jenseits meines Namens, meiner Rollen, meiner Titel, meiner Aufgaben, Verpflichtungen und Gewohnheiten. Jenseits meiner Verhaltens- und vor allem meiner Denkmuster.
Vielleicht besteht heilen darin, zu entdecken.
Vielleicht sogar immer wieder aufs Neue.
Dass ich bereits heil und ganz bin. Es schon immer war. Hinter all den Masken und Fassaden, die ich meine, tragen zu müssen. Hinter den vielen Rollen, Opfer zu sein verbirgt sich genau das.
Verschleiert und versteckt unter vielen Schichten an Sorgen, Zweifeln, Befürchtungen, Kränkungen, Enttäuschungen und Ängsten.
Verschleiert von meinen eigenen Gedanken, die ich mir über so allerhand mache. Mich selbst in Frage stellend.
Ich schätze mich nicht wert, sondern geringer ein, als ich bin, wenn ich der Überzeugung bin, verwundet oder gar beschädigt zu sein. Erst wieder ganz und heil werden zu müssen.
Wenn ich glaube oder vielmehr denke, dass ich mich zuerst heilen muss, um ganz und zufrieden und glücklich zu sein, übersehe und übertöne ich mit meinen Gedanken, dass ich es schon bin. Vollkommen. Rein. Weich und sanft. Kraftvoll und stark. In mir ruhend, im Herzen wissend und fühlend.

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